Kognitive Fähigkeiten stehen hoch im Kurs

Gerhard Bruns, Geschäftsführer des geva-instituts, spricht im Interview mit HR-Performance über die Chancen von Online-Assessments für eine professionelle Vorauswahl und warum das persönliche Gespräch im Bewerberprozess immer wichtig sein wird.

 

HR-Performance: Seit 27 Jahren bieten Sie Tests zur Bewerberauswahl an. Wie hat sich dieser Markt über die Jahre verändert?
Gerhard Bruns: Früher arbeitete man ausschließlich mit Print-Verfahren. Ausgewertet wurde mit Schablonen, später dann computergestützt. Seit geraumer Zeit werden zunehmend Online-Testverfahren eingesetzt. Viele Unternehmen lassen es zu, dass die Teilnehmer die Tests von zu Hause aus durchführen. Das funktioniert gut und senkt die Kosten signifikant. Das geva-institut hat diverse Kontrollstrategien und dynamische Paralleltestsysteme entwickelt, um Mogeleien zu unterbinden. Allerdings wird die Neigung von Bewerbern, bei Online-Tests von zu Hause aus zu täuschen, stark überschätzt. Es gibt aber auch Unternehmen, die ihre Bewerber zum Online-Test ins Unternehmen einladen und den Test unter Aufsicht durchführen. Das bringt vor allem mehr gefühlte Sicherheit, durchaus aber auch weitere Vorteile: Die Instruktionen verlaufen absolut standardisiert, denn der Online-Test instruiert sich von selbst. Daher kommt man auch mit weniger Instruktoren vor Ort aus. Man kann zudem zeitgleich verschiedene Testvarianten für verschiedene Berufsgruppen durchführen und die Daten können sehr schnell ausgewertet werden. Inhaltlich gesehen sind die Ansprüche der Unternehmen an Eignungstests komplexer und vielfältiger geworden sind. Dabei steht nicht mehr nur die Frage im Vordergrund „Was kann ein Bewerber“. Immer häufiger möchte man auch die Berufsmotivation, die persönlichen, sozialen und methodischen Kompetenzen eines Bewerbers erkennen. Entsprechend umfangreicher und aussagekräftiger sind die Testverfahren geworden.
 
Wie hat sich der Umgang der Unternehmen mit diesem Thema entwickelt?

Die Unternehmen wollen zunehmend modulare Testverfahren einsetzen, die sich inhaltlich konfigurieren und auf die Anforderungen der verschiedenen Berufe hin anpassen lassen. Dennoch sollen die verschiedenen Testvarianten auf einer gemeinsamen Test-Plattform aufbauen. Das ermöglicht Mehrfachdiagnosen – also die Aussage, ob man vielleicht für einen anderen Beruf in Frage kommt, wenn man beim eigentlichen Zielberuf nicht erfolgreich war. Bei rückläufigen Bewerberzahlen macht dieser Blick nach links und rechts durchaus Sinn. Die Bereitschaft, Home-Tests zuzulassen, hat sich übrigens deutlich erhöht.

 
Haben sich angesichts der Verschiedenheit der Generationen X, Y und Z auch die Inhalte der Tests verändert?

Die Inhalte der Tests haben sich nicht grundsätzlich verändert, wenn man von den bereits angesprochenen Erweiterungen hinsichtlich der beruflichen Motivation und der Schlüsselqualifikationen einmal absieht. Wohl aber verändert haben sich die Anforderungen der Unternehmen und die mitgebrachten Kompetenzen der Berufseinsteiger. Wir haben die Testergebnisse von Teilnehmern aus dem Jahr 1999 mit denen aktueller Teilnehmer verglichen. Besonders auffällig ist der Trend, dass man heute weniger bereit ist, persönlich Verantwortung zu übernehmen. Das Interesse an Berufen wie zum Beispiel Polizei ist deutlich angestiegen, das Interesse an Marketing- und IT-Berufen hat nachgelassen. Im Leistungsbereich haben wir eine Verschlechterung der Testergebnisse von 1999 bis 2015 festgestellt. Das gilt insbesondere für das Textverständnis und das Allgemeinwissen. Möglicherweise liegen die Ursachen hierfür in einer veränderten Mediennutzung. Aber auch bei den mathematischen und sprachlichen Fähigkeiten zeigt der Pfeil für Absolventen aller Schulformen tendenziell nach unten.

 
Stehen heute bei der Auswahl andere Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Unternehmen im Vordergrund?
Die kognitiven Fähigkeiten stehen nach wie vor hoch im Kurs. Zunehmend an Bedeutung gewinnen die persönlichen und sozialen Merkmale, über die man einerseits die Ausbildungsreife aber auch andererseits den späteren Berufserfolg erkennt.
 
Wie sieht die häufigste Form der Arbeit mit Tests in Ihrer Praxis aus?

Häufig werden Online-Testverfahren für die Vorauswahl potenzieller Auszubildender oder Studenten im dualen Studium verwendet. Wenn man zum Beispiel pro Jahr 4.000 Bewerbungen erhält, kann man nicht mit all diesen Bewerbern persönlich reden. Daher wird ein Auswahltest vorgeschaltet, um zu erkennen, wer am besten das Anforderungsprofil trifft. In der Regel wird man sich mit den 20 Prozent der Bewerber weiter beschäftigen, die den besten Passungswert erzielen. Mit diesen Personen wird dann ein Interview geführt oder man lädt zu einem Assessment Center ein.

 
Auf welche Hürden stoßen Sie in den Unternehmen? Sind es der Preis, das fehlende Vertrauen des Betriebsrats in die Validität oder die Angst vor dem Neuen?
Es ist weniger der Preis, denn der Eignungstest ist der geringste Kostenfaktor im Auswahlprozess. Manchmal gibt es Bedenken gegenüber Online-Tests, die von zu Hause aus durchgeführt werden dürfen – weil man Mogelei befürchtet. Manchmal gibt es auch pauschale Vorbehalte gegen Testverfahren als solche – egal ob online oder print. Und manchmal fürchten Einzelne, lieb gewordene Routinetätigkeiten zu verlieren, die sich bei der Abwicklung der althergebrachten Auswahlmethoden eingenistet haben. Betriebsräte akzeptieren in der Regel systematische und wohl definierte Auswahlmethoden, die zudem standardisiert und damit objektiv vorgegeben und ausgewertet werden. Dem Computer, der den Test vorgibt und auswertet, sind Alter, Haar- und Hautfarbe, soziale Herkunft oder sexuelle Orientierung eines Bewerbers komplett egal. Für einige unserer Kunden führen wir die Tests übrigens komplett anonym durch, verwaltet über eine 10-stellige Zahlen- Buchstabenkombination.
 
Wie variabel ist ein Test, wenn es um die Berücksichtigung von Unternehmensspezifika geht?

Der geva-test® ist komplett variabel. Wie in einem Baukastensystem können die Testmerkmale frei kombiniert werden. Für unterschiedlich qualifizierte Bewerbergruppen gibt es Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeiten. Die Anforderungsprofile einzelner Berufe werden für alle Merkmale exakt definiert. So kann festgelegt werden, welches Ergebnis bei welchem Merkmal wie beurteilt wird. Darüber hinaus können die Gewichtungen von Merkmalen und Merkmalsbereichen variabel eingestellt werden. Cut-Offs, also Ausschlussbedingungen bei Nichterreichen besonders wichtiger Anforderungen, lassen sich merkmalsspezifisch einrichten. Im Rahmen der Testauswertung wird für jeden Bewerber ermittelt, wie gut das Anforderungsprofil getroffen wird. Dabei zählen höher gewichtete Merkmale stärker als nachrangig priorisierte Eigenschaften.

 
Wie wird sich das Thema Tests und Eignungsdiagnostik weiterentwickeln?
Eignungstests dienen nicht der Unterhaltung, sondern sind eine ernsthafte Veranstaltung für Menschen, die ihre berufliche Zukunft planen und für Unternehmen, die Talente suchen. Werblich anmutende Anwendungen machen im Personalmalmarketing Sinn, wenn sich ein Unternehmen spielerisch präsentieren möchte („Passe ich zu XYZ?“). Bei der Bewerberauswahl werden sich seriöse Eignungstests durchsetzen, die eine solide Einschätzung eines Bewerbers zulassen. Da die meisten Ausbildungsverträge aus motivationalen Gründen oder aufgrund eines nicht adäquaten Verhaltens aufgelöst werden, wird man künftig auf diese Merkmale mehr Acht geben. Schwächen gibt es vielfach noch bei den nachgeschalteten Verfahren wie zum Beispiel bei Assessment Centern oder Interviews, die nicht immer die notwendige diagnostische Qualität und Aussagekraft aufweisen. Ein Telefoninterview im Nachgang zum Test und vor einer Einladung zum Interview erhöht die Auswahlsicherheit für die zweite Phase.
 
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen von Tests?

Tests sind ein sehr effizientes Verfahren in der ersten Phase der Auswahl, wenn es darum geht, aus einer großen Menge von Bewerbern diejenigen auszuwählen, die mit einer großen Wahrscheinlichkeit das Anforderungsprofil treffen – oder die das Anforderungsprofil nicht treffen. Tests ersetzen aber nicht die Einschätzung eines Kandidaten im persönlichen Kontakt.

 
Welches Potenzial könnten Tests für die Erkennung der Fähigkeiten von Flüchtlingen haben?

Eine Übersetzung von Testverfahren für Flüchtlinge ist möglich – aber die Interpretation dieser Testergebnisse ist eine Herausforderung: kulturspezifische Inhalte können nicht verwendet werden. Dennoch können entsprechend aufbereitete Testversionen hilfreich sein, zum Beispiel als strukturelle Entscheidungshilfe, um einen Bewerber hinsichtlich seiner beruflichen Vorstellungen und Kompetenzen besser kennenzulernen. Kognitive Merkmale im Bereich der logisch-analytischen oder mathematischen Fähigkeiten lassen sich mit deutschen Standards vergleichen. Bei den motivationalen und verhaltensbezogenen Merkmalen geben die Testergebnisse dem auswählenden Unternehmen eine erste Orientierung.

 
Wie sehen Ihre zukünftigen Pläne aus?

Wir begleiten einerseits Jugendliche mit berufsorientierenden Testverfahren. So erkennen wir auf breiter Basis, was künftige Berufseinsteiger können und wollen. Auf der anderen Seite beraten wir Unternehmen, solche Talente zu erkennen, die das betriebliche Anforderungsprofil bestmöglich treffen. Die Kenntnis beider Perspektiven hilft uns dabei, unsere Testverfahren inhaltlich und methodisch ständig weiterzuentwickeln, wie bereits in den letzten 27 Jahren geschehen. Die künftigen Entwicklungen sind aber nicht ausschließlich inhaltlich getrieben sondern auch technisch. Schließlich verändern sich die technischen Möglichkeiten und die Nutzungsgewohnheiten der Anwender sowohl auf Seiten der Bewerber als auch auf Seiten der Unternehmen rasant.

 

Gerhard Bruns, Jahrgang 1960, studierte Psychologie und Sozialwissenschaften, arbeitete einige Jahre am Max-Planck-Institut für Psychiatrie und gründete 1988 mit zwei Partnern das Münchner geva-institut. Mit 35 Mitarbeitern hat sich das geva-institut auf die Organisations- und Personaldiagnostik spezialisiert.