Digitalpakt Weiterbildung – die Lösung für die Bildungsbranche?

Die vergangenen Monate haben eindringlich gezeigt, wie wichtig eine gute digitale Infrastruktur und der Einsatz digitaler Medien auch für die Weiterbildungsbranche sind: Zum einen, um bestehende Bildungsangebote aufrecht zu erhalten. Zum anderen, um Bildungseinrichtungen während der Geschäftsschließungen eine Fortführung ihrer Arbeit zu sichern.
Und sie haben das Optimierungspotenzial aufgedeckt, das viele Bildungseinrichtungen in Sachen Digitalisierung noch aufweisen.
Warum haben viele Bildungsträger Schwierigkeiten, mit der Digitalen Transformation Schritt zu halten?
Statt mit dem Finger auf vermeintlich rückständige Unternehmen der Weiterbildungsbranche zu zeigen, lohnt es sich, das Thema einmal aus deren Sicht zu betrachten: Wie stehen Bildungsträger generell zur Digitalisierung, was sind die Ursachen für die jetzige Situation und wie kann ein rascher Fortschritt erreicht werden?

 
 
 
Digitalpakt Weiterbildung
Der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) hat hierzu eine klare Meinung. Stefan Sondermann, Geschäftsführer der Berliner Geschäftsstelle des Bildungsverbands und Ansprechpartner für das Thema Digitalpakt Weiterbildung, hat mit uns über die digitale Situation der Bildungsträger und deren Anliegen gesprochen: Den Digitalpakt Weiterbildung.
 
geva-institut: Herr Sondermann, der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) zählt zahlreiche Einrichtungen aus der Trägerlandschaft Deutschlands zu seinen Mitgliedern: Wie ist die aktuelle Lage bezüglich der Digitalisierung in der Weiterbildungsbranche im Allgemeinen und  in der aktuellen Situation? Hat die Corona-Krise daran etwas geändert?
Stefan Sondermann: Die Lage hinsichtlich der Digitalisierung ist nicht befriedigend, daran hat auch die Corona-Krise nur bedingt etwas verändert, auch wenn durchaus ein „digitaler Schub“ zu verzeichnen ist. Ein Kernproblem bleiben Ausstattung und Finanzierung. Es wäre beispielsweise sehr zu begrüßen, wenn Weiterbildungsträger - analog zu den allgemeinbildenden Schulen -  mit digitalen Lehrmitteln ausgestattet werden. Weiterbildung, Umschulungen etc. werden auch nach der Corona-Zeit ein wichtiges Thema bleiben. Wenn es der politische Wunsch ist, die Digitalisierungsanstrengungen zu intensivieren – wir teilen diesen Wunsch -  kann von den Trägern nicht verlangt werden, die zwangsläufig entstehenden Kosten allein zu tragen. Dies gilt umso mehr, als die Einhaltung der erhöhten Hygienestandards auch höhere Kosten zur Folge hat. Zudem ist es nach wie vor so, dass viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer grundsätzlichen Erstausstattung bedürfen. Dazu gehören vor allem Einweisung, Betreuung und möglichst auch eine LTE-Card. Daraus folgt: Die Sicherstellung einer gleichen Ausstattung bzw. Ausgangssituation ist unabdingbar für alles Weitere.
 
Bundesverband der Träger beruflicher Bildung e.V.
Bundesverband der Träger beruflicher Bildung e. V. (BBB)
Der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) e. V. – kurz: BBB – ist ein Zusammenschluss maßgeblicher Anbieter von Bildungsprogrammen in Deutschland.
Der Bildungsverband will die gemeinsamen Interessen der Träger formulieren und ihnen Geltung verschaffen.
Insbesondere sollen die Bestrebungen der Mitglieder in unternehmens-, bildungs- und sozialpolitischen Angelegenheiten durch Information und Beratung gefördert und koordiniert werden.

Zur Website des Bildungsverbands
 
 
 
Gibt es Programme, Maßnahmen oder bestimmte Zielgruppen, für die eine digitalisierte Durchführung wichtiger ist als für andere, oder andersherum gefragt: Gibt es überhaupt noch Programme oder Zielgruppen, bei denen die Arbeit ohne digitale Unterstützung sinnvoller erscheint?
 Es gibt Studien, wonach sich 30 bis 50 Prozent aller Jobs substantiell verändern werden, vermutlich liegt die Zahl sogar höher. Deswegen ist Qualifizierung unverzichtbar notwendig und betrifft vor allem das Segment der An- und Ungelernten, die sich besonders und schon in absehbarer Zeit den Auswirkungen der Automatisierung gegenüber sehen. Um hier die Chancen zu verbessern, ist eine digitale Unterstützung fast noch unverzichtbarer als in anderen Bereichen. Hier sind wir beim Stichwort „Lebenslanges Lernen“, das weit mehr umfasst als gelegentliche Kurzzeitseminare, Audio oder Podcasts. Programme ohne jede digitale Unterstützung dürften die absolute Ausnahme werden.
 
Dass digitale Medien vieles vereinfachen und auch von Bildungsträgern gewinnbringend eingesetzt werden können, bestreitet inzwischen wahrscheinlich niemand mehr. Welche Probleme entstehen für Bildungsträger bei ihren Bemühungen, digitale Medien in ihre Arbeit und Geschäftsprozesse einzubeziehen?
Das lässt sich so allgemein nicht sagen, die einen Träger sind digitalaffiner, die anderen weniger. Erneut muss aber auf die Problematik einer auskömmlichen Finanzierung hingewiesen werden, die alle Träger gleichermaßen betrifft: Wenn kostenintensive Investitionen im Digitalbereich gewünscht werden, diese aber nicht oder nur unzureichend kompensiert werden, wird es die Investitionen und damit den gewünschten Effekt so schnell nicht geben. Hier geht es eindeutig zu zögerlich voran.
 
Bildungsverband mahnt: Bildungsträger leiden unter den Folgen der Pandemie
Bildungs- und Beschäftigungsunternehmen nach dem SGB II und SGB III sowie Sprachschulen befinden sich aufgrund der Corona-Pandemie in einer existenzbedrohenden Lage. Etwa 75 Prozent der Bildungseinrichtungen haben Hilfsmittel aus dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) beantragt. Der Leistungsumfang beträgt bei jeder fünften Bildungseinrichtung mehr als 50 Prozent des jeweiligen Umsatzes.

(Quelle abrufbar im Internet unter https://bildungsverband.info/digitalpakt-weiterbildung-notwendig )
 
 
Es gibt Bildungseinrichtungen, die es allen Hindernissen zum Trotz geschafft haben, ihre Beratungs-Prozesse weitestgehend auf digitale Medien umzustellen und damit erfolgreich und weitestgehend krisen-unabhängig arbeiten können. Gibt es etwas, das andere Bildungsträger daraus lernen können?
Zentrale Bausteine sind zukunftsweisende didaktische Konzepte und ein gutes Produktmanagement. Je mehr und gründlicher die Arbeitsmarktdaten und die virulent werdenden Themen analysiert werden, desto besser werden die Träger am Markt agieren können. Adressaten der Beratung sind ja nicht nur die aktuellen oder potentiellen Mitarbeiter, sondern auch die Unternehmen insgesamt, die sich immer wieder neu definieren und aufstellen müssen.

Der Bundesverband und seine Bündnispartner fordern von der Bundesregierung einen „Digitalpakt Weiterbildung“. Welches sind die Kernpunkte Ihrer Forderung, welche Partner sind in das geplante Bündnis eingebunden und wie sieht der Digitalpakt Weiterbildung idealerweise für Sie aus?
Der „Digitalpakt Weiterbildung“ soll zu allererst die Fehler vermeiden, die beim „Digitalpakt Schule“ sichtbar geworden sind. Sodann soll deutlich werden, dass der Bereich Weiterbildung einer der vier gleichwertigen Bildungssektoren ist. Weiterbildung umfasst dabei neben Qualifikationen auch die Vermittlung von Beteiligungs- und Gestaltungskompetenz. Der Staat soll für das Handeln der unterschiedlichen Akteure Rahmenbedingungen setzen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen für eine langfristig ausgerichtete Weiterbildungsstrategie. Das bedeutet: Die Träger und die Professionalität ihrer Beschäftigten sind Dreh- und Angelpunkt für Sicherung der Qualität, dies gilt umso mehr bei den neuen Gesetzen wie dem „Qualifizierungschancengesetz“ bzw. „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“. Wir fordern mehr denn je ein allgemeines Recht auf Weiterbildung.
Der Digitalpakt wendet sich an Unternehmen, Beschäftigte und ihre Betriebs- und Personalräte sowie die Sozialpartner, also Arbeitgeber und  Gewerkschaften.
 
Und wenn das Ziel erreicht ist – wie geht es dann weiter? Die Fördergelder müssen von den Bildungseinrichtungen ja beantragt und eingesetzt werden. Der Digitalpakt Schule hat gezeigt, dass dies nur sehr zögerlich geschieht. Haben Sie einen Plan, wie eine aktivere Nutzung der zur Verfügung stehenden Förderung erreicht werden kann?
Eine einheitliche Form der Weiterbildungsfinanzierung kann es auch künftig nicht geben, sondern nur eine Differenzierung nach den verschiedenen Lernsegmenten: Öffentliche Hand, Unternehmen und Lernende. Die von uns geforderte gesteigerte öffentliche Verantwortung bedeutet eine Erhöhung der öffentlichen Mittel für die Weiterbildung, keine allumfassende Finanzierung. Wir müssen sehr genau darauf achten, welchen Teil der Kosten die Teilnehmenden bereits jetzt tragen und wie diese Entwicklung gestoppt und teilweise umgekehrt werden kann. Drei Schlagworte mögen an dieser Stelle genügen: Finanzierung der betrieblichen Weiterbildung auf eine neue Grundlage stellen, die individuelle Weiterbildung gewährleisten und die Weiterbildung von Erwerbslosen weiterentwickeln.
 
Zum Schluss ein Ausblick: Welches sind die nächsten Schritte, die der Bildungsverband und seine Bündnispartner auf dem Weg zum Digitalpakt nun gehen werden?
Jeder Bündnispartner hat naturgemäß eigene Vorstellungen, so dass die Schaffung einer konsensfähigen und zugleich substantiellen Basis eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe ist. Hinzu kommt die aktuelle Corona-Entwicklung, die zwangsläufig zu neuen Ansätzen, Überlegungen und Konzeptionierungen führt. Last not least soll auch im kommenden Jahr der Bundestagswahl politische Aufmerksamkeit gefunden werden.
 
Weiterführende Links
Zur Lage der Bildungsbranche und den Forderungen des Digitalpakts Weiterbildung
 
https://bildungsverband.info/digitalpakt-weiterbildung-notwendig
Best Practice: Interview mit Bildungsträgern, die bereits erfolgreich mit digitalen Medien arbeiten
Welche Fördermöglichkeiten für Digitale Medien können Bildungseinrichtungen bereits jetzt nutzen?