Online Proctoring in Online-Assessments: Mehr Sicherheit vor Täuschungsversuchen?

Digitale Prüfungsbeaufsichtigung, auch Online-Proctoring genannt, ist in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Methode kommt eigentlich aus dem Hochschul-Bereich, findet jedoch inzwischen auch Interessierte unter Arbeitgebern, die zur Auswahl von Bewerbenden Online-Assessments einsetzen.


Der Wunsch, mittels einer Software zuverlässig, effizient und wirtschaftlich Verfälschungsversuche aufzudecken oder - besser noch - zu verhindern, ist nur allzu verständlich: Schließlich möchte man sichergehen, dass Kandidatinnen und Kandidaten, die aufgrund ihrer guten Ergebnisse im Einstellungstest zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, den Einstellungstest ohne fremde Hilfe bearbeitet haben.


Doch kann Online-Proctoring diese Sicherheit wirklich gewährleisten? Tatsächlich wirft der Einsatz von Online-Testbeaufsichtigung - insbesondere mittels entsprechender Software - zahlreiche Fragen auf: Halten die unterschiedlichen Online-Proctoring-Lösungen, was sie versprechen? Was ist zu beachten, wenn man den Einsatz einer solchen Software in Betracht zieht? Welche Probleme könnten sich ergeben? Eine Zusammenfassung der wichtigsten Infos.

 
 
 
Online Proctoring bei Online Assessments geva Blog

Was genau ist Online-Proctoring?

Mit dem Begriff Online-Proctoring werden digitale Formate der Prüfungsbeaufsichtigung bezeichnet, die eine ortsunabhängige Realisierung (z.B. von zu Hause aus) von sicheren sowie zuverlässigen Prüfungen ermöglichen sollen. Zu diesem Zweck werden im Online-Proctoring Webcams verwendet, um eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung von Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmern zu gewährleisten. *)

 
Welche Arten des Online-Proctoring gibt es?
  • Live-Proctoring: Die Teilnehmenden werden während der Prüfung mittels Webcam durch eine vor einem Rechner sitzende, menschliche Person beaufsichtigt
  • Automatisiertes Proctoring: Durch künstliche Intelligenz (KI) oder einen Algorithmus, Anwendung meist mittels einer Software. Unterschiedliche Anbieter haben sich inzwischen auf dem Markt etabliert

Proctoring-Software bietet inzwischen zahlreiche technische Möglichkeiten der digitalen Prüfungsüberwachung. Die folgenden könnten auch für den Einsatz in Online-Assessments in Frage kommen:

 

  • Filmen mithilfe der Webcam
  • Wiederholtes Fotografieren mittels der Webcam
  • Verwendung eines eingebauten oder externen Mikrofons
  • Gesichtserkennung durch künstliche Intelligenz (KI)
  • Maschinelle Verhaltenserkennung durch KI
  • Stimmerkennung
  • Überwachung und Einschränkung von Funktionen der Rechner der Test-Absolvierenden
 
 

Gründe für den Einsatz von Proctoring-Software bei der Durchführung von Online-Assessments

Online-Einstellungstests werden meist von Bewerbenden am heimischen Rechner absolviert – was einigen Personalverantwortlichen Bauchschmerzen bereitet, denn die Kandidatinnen und Kandidaten könnten sich unerlaubter Hilfsmittel bedienen oder den Einstellungstest vollständig von einer anderen Person durchführen lassen. Jedoch ist gerade bei Online-Assessments aufgrund der großen Teilnehmerzahlen eine menschliche Prüfungsaufsicht (Live-Proctoring) nahezu unmöglich.


Da kommen Online-Proctoring-Software Systeme scheinbar gerade recht: Sie versprechen eine automatisierte Beaufsichtigung der Testteilnehmenden, die auch auf größere Personenzahlen angewendet werden kann und zuverlässig Verfälschungsversuche identifiziert.
Zu schön, um wahr zu sein? Der Einsatz der momentan im Einsatz befindlichen Proctoring-Softwares ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu sehen.

Hält Online-Proctoring-Software, was sie verspricht?

Wie gut funktionieren Gesichtserkennung, Zugriff auf das Mikrofon und die anderen technischen Methoden? Können durch ihren Einsatz Manipulationsversuche zuverlässig erkannt werden? Und was passiert, wenn nicht?


Alle machen Fehler – das gilt auch für Proctoring-Lösungen. Beispielsweise haben einige Gesichtserkennungen Probleme damit, Menschen, die keine Vorfahren aus dem europäischen Raum haben, zuverlässig zu identifizieren. Auch bei den anderen technischen Möglichkeiten von Proctoring-Softwares ist eine gewisse Fehlerquote gegeben. In einem solchen Fall registriert die Software einen Betrugsversuch, ohne dass Teilnehmende das Online-Assessment tatsächlich manipulieren wollten.
Ob Betrugsversuch oder falscher Alarm - es müsste überprüft werden, ob tatsächlich ein Täuschungsversuch stattgefunden hat. Dafür könnten die betroffenen Testpersonen vorerst auch vom Test ausgeschlossen werden. Das Risiko, dass einzelne Teilnehmende gegen einen unrechtmäßigen Ausschluss aus dem Bewerbungsprozess klagen, dürfte hoch sein.

 

Den Wunsch nach vollständiger Sicherheit vor Täuschung können die unterschiedlichen Anbieter von Online-Proctoring-Software übrigens nicht erfüllen – auch bei automatisch überwachten Prüfungen kann erfolgreich geschummelt werden. Wer es darauf anlegt, findet dazu im Internet zahlreiche Ideen – einige davon sind bereits wohl erprobt.

Datenschutz- und rechtliche Bedenken

Aus rechtlicher Sicht und im Hinblick auf den Datenschutz ist Online-Proctoring teilweise bedenklich. Das Augenmerk liegt dabei auf verschiedenen gesetzlichen Regelungen:

Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Grundgesetz Art. 13 Abs. 1)

Kommt eine Kamera zum Einsatz, ist meist neben dem Gesicht der Test-Absolvierenden auch das private Zimmer mit im Bild – einige Proctoring-Softwares erfordern sogar 360-Grad-Kameraschwenks im gesamten Zimmer der Testpersonen. Hierdurch findet ein Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung statt. Abhilfe schafft nur, wenn Bewerbende erklären, für den Einsatz des Online-Proctorings dieses Grundrecht nicht auszuüben.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Recht am eigenen Bild (Grundgesetz Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1)

Hiermit wird die Befugnis der einzelnen Person, selbst über Preisgabe und Verwendung der sie betreffenden Daten zu bestimmen, geschützt. Da die Anfertigung von Video-/ Audiodaten oder Fotografien der Teilnehmenden mit einer Datenverarbeitung einhergeht, findet auch hier ein Eingriff in das Grundrecht der betroffenen Personen statt. Damit die Aufnahmen dennoch rechtlich zulässig sind, müssen Bewerbende zuvor in einer Einverständniserklärung auf ihr Grundrecht verzichtet haben.

Verarbeitung personenbezogener Daten (DSGVO Art. 4 Nr. 1)

Egal, ob gefilmt oder fotografiert wird oder eine andere Proctoring-Methode zum Einsatz kommt: In den meisten Fällen werden personenbezogene Daten nach DSGVO verarbeitet. Dies erfordert immer, dass die betroffenen Person ihr Einverständnis damit erklärt.

Übermittlung personenbezogener Daten ins Ausland (DSGVO Art. 44)

Datenübertragungen in Drittländer außerhalb der EU unterliegen strengen Bestimmungen. Unter anderem muss im Drittland ein adäquates Datenschutzniveau bestehen. Dies ist derzeit beispielsweise im Falle der USA nicht gegeben. Die Zusammenarbeit mit Online-Proctoring-Anbietern aus den USA bedarf demnach zusätzlicher spezifischer Verträge, die das durch die DSGVO geforderte Datenschutzniveau garantieren - oder des Einverständnisses der Bewerbenden.

Problemfall Einverständniserklärung

Es klingt einfach: Bewerbende oder deren Erziehungsberechtigte (wie häufig bei der Auswahl von künftigen Auszubildenden, die noch minderjährig sind) unterzeichnen eine Einverständniserklärung mit Online-Proctoring und allen zustimmungspflichtigen Funktionen – und die Datenschutz- und rechtlichen Vorbehalte lösen sich in Wohlgefallen auf.
Allerdings muss das Einverständnis der Kandidatinnen und Kandidaten freiwillig erfolgen (Art. 7 Abs. 4 DSGVO) und die Person muss eine echte Wahl haben, ihre Einwilligung zu erteilen oder eben nicht.

Es dürfte fraglich sein, ob von Freiwilligkeit gesprochen werden kann, wenn wie im Falle von Online-Assessments ein Machtungleichgewicht zwischen Bewerbenden und potenziellen Arbeitgebern besteht.


Um Bewerbenden eine echte Wahl zu ermöglichen, die Einwilligungserklärung in die Testdurchführung mit Online-Proctoring zu unterschreiben oder nicht,  müsste zudem gewährleistet sein, dass der Test auf jeden Fall durchgeführt werden kann - auch  ohne den Einsatz von Online-Proctoring. Zum Beispiel in Form einer Testdurchführung vor Ort beim Unternehmen.

 

Arbeitgeber, die im Zusammenhang mit der Einverständniserklärung rechtlich nicht alles richtig machen, befinden sich auf dünnem Eis. Die Wahrscheinlichkeit, früher oder später mit gerichtlichen Klagen von Bewerbenden konfrontiert zu werden, ist hoch.

Besser auf bewährte Methoden zurückgreifen

Gegen vorsätzliche und gut vorbereitete Verfälschungsversuche hilft Proctoring-Software genauso wenig wie andere Lösungen. Sie ist jedoch mit viel mehr Unsicherheiten hinsichtlich des rechtskonformen Einsatzes verbunden.


Bei allen Methoden, Verfälschungsversuchen vorzubeugen oder diese aufzudecken, geht es letztlich darum, die Hürden für Manipulationen so hoch zu setzen, dass der Großteil der Test-Absolvierenden darauf verzichtet. Dies ist hingegen auch mit weniger umstrittenen Mitteln zu erreichen.
Insbesondere die Ankündigung einer Überprüfung der persönlichen Testergebnisse im Erfolgsfall führt zu einer seriösen Testbearbeitung durch die Testpersonen. Schließlich bringt Mogeln keinen Vorteil, denn die persönliche Leistungsfähigkeit muss später (z.B. bei einer Einladung zum Vorstellungsgespräch) persönlich und ohne Hilfe über einen Kontrolltest nachgewiesen werden (Re-Test).
Auch die Angaben zu persönlichen, sozialen und methodischen Kompetenzen im Einstellungstest können beim persönlichen Auftreten der Kandidatinnen und Kandidaten im Interview oder Assessment Center auf Plausibilität überprüft werden.


Der geva-test© enthält zahlreiche Mechanismen gegen Verfälschung. Allesamt, ohne den Datenschutz oder die Privatsphäre der Teilnehmenden zu verletzen.

 

Der geva-test© bietet zahlreiche Sicherheitsmechanismen gegen Verfälschung
  • Zeitbeschränkung: Alle Aufgaben im kognitiven Leistungstest müssen gegen die Stoppuhr bearbeitet werden (Speedtest). Ist die vorgegebene Zeit abgelaufen, wird die Bearbeitung automatisch beendet. Dies garantiert die objektive Messung der Leistungsfähigkeit (Anzahl richtiger Antworten in begrenzter Zeit). Der Einsatz von Hilfsmitteln verschafft Bewerbenden keinen Vorteil: Dies kostet in der ohnehin knappen Bearbeitungsspanne zusätzlich Zeit und führt deshalb nicht zu ausreichend vielen richtigen Lösungen.
  • Log-in-Beschränkung: Eine begrenzte Anzahl möglicher Testunterbrechungen beugt dem Einsatz von Hilfsmitteln außerhalb der Testbearbeitung vor.
  • Konsistenz der Antworten (Widerspruchsfreiheit): Bei den Angaben zur beruflichen Motivation sowie den persönlichen-methodischen und sozialen Kompetenzen analysieren wir die Konsistenz der gegebenen Antworten.
  • Realistische Selbsteinschätzung oder Übertreibung: Aufgrund der objektiven Leistungsmessung stellen wir die persönliche Selbsteinschätzung zur Leistungsfähigkeit in Bezug zum erbrachten Ergebnis. So sieht man, ob Kandidatinnen und Kandidaten sich realistisch einschätzen können.
  • Dynamische Parallelformen: Zu jedem Leistungsmerkmal gibt es unterschiedliche Aufgabensets, die den Teilnehmenden per Zufallsgenerator zugesteuert werden. So kann auch mehrmalige Testteilnahme nicht zu übermäßigen Lerneffekten führen.
  • Ankündigung einer Überprüfung der im Test gezeigten Leistungen durch einen Re-Test und im Rahmen von Interviews und/oder Assessment-Center.
  • Re-Test: Kontrolle nach dem Eignungstest. Personalexperten erhalten einen zur jeweiligen Konfiguration passenden Stichprobentest für Bewerbende, den Cross-Check. Mit diesem kann beim Vorstellungsgespräch vor Ort in ca. 10-15 Minuten festgestellt werden, ob die betreffende Person ihr Leistungsniveau aus dem Online-Test wiedergeben kann.